THC UND SO36


SO36 statt 0815

Sieben wilde Jahre von 2004 bis 2010 durfte ich in Berlin aktiv an dem sozialen Experiment „THC Franziskaner“ teilnehmen. Zwei neue Teams wurden in der Zeit gegründet (Zweite 2007 und – ein Jahr nach dem Wechsel der alten Ü32 in den Ü40-Bereich – eine neue Ü32 im Jahr 2010), zwei Meisterschaften gefeiert (Erste 2009 und Zweite 2010) und der erstmalige Aufstieg eines THC-Teams in die zu der Zeit höchste Freizeitliga geschafft (Erste 2009). Es waren aber auch die Jahre, in denen wir unsere Trainingsmöglichkeit auf dem kleinen Lobeck verloren. Erst nach einigen provisorischen Zwischenlösungen – dank unseren Freunden von Soli weiter auf dem Lobeck und tief in Neukölln auf dem Blücherplatz auf Einladung vom FC Nussbaum – und durch die intensiven Bemühungen von Charly und W2 landeten wir 2007 auf der Metro am Ostbahnhof. Anstatt all die wunderbaren Erfolge, die vielen kleinen und größeren Probleme, die erfüllten Hoffnungen, die Fehleinschätzungen und falschen Erwartungen, das Richtige und das Falsche, die rauschenden Partys und die unzähligen mal gut mal schlecht besuchten Mannschafts- und Vorstandssitzungen altersmilde und selbstironisch Revue passieren zu lassen, möchte ich im Folgenden ganz frisch und unbedarft eine Frage versuchen zu beantworten, die mich in dieser Zeit immer wieder beschäftigt hat: Was ist das Besondere am THC ?

Man könnte es sich zugleich einfach und kompliziert machen, würde man antworten, dass die vielen so unterschiedlichen Mitglieder das Besondere sind. Einfach wäre das, weil das natürlich offensichtlich richtig ist, kompliziert, weil da so Einiges zu erzählen wäre. Ich wage stattdessen die These, dass das Besondere des THC ganz eng zusammenhängt mit dem, was Kreuzberg 36 so besonders macht. Ohne Netz und doppelten Boden, ohne wissenschaftliche Grundlage oder empirische Untersuchungen werde ich jetzt vorstellen, wie aus meiner Sicht das Besondere vom THC mit dem Stadtteil zusammenhängt.

HomeIsle Sweet Home Isle

Mitte der Achtziger war das Inseldasein von West-Berlin und Kreuzberg 36 fast schon sprichwörtlich. Im Norden grenzend an Spree und Friedrichshain, im Osten an Treptow und im Westen an Mitte war für Kreuzberg in drei Himmelsrichtungen „Osten“. Der Begriff „Gentrifizierung“ war zu der Zeit noch nicht geboren und hätte auf Kreuzberg 36 in den Achtzigern und Neunzigern mit seinen vielen heruntergekommenen und besetzten Häusern auch nicht angewendet werden können.

Trotz aller Unterschiede zwischen den Menschen, die in Kreuzberg 36 lebten, verlieh die Insellage dem Zusammen- oder Nebeneinanderher-Leben Stabilität und Kontinuität: „Man kennt sich eben“. Kreuzberg 36 hatte unter diesen Bedingungen trotz aller Heterogenität etwas Dörfliches. Beim THC wurde diese soziale Wärme durch den Ofen in der Kneipe symbolisiert. Ein Großteil der THC-Aktiven verbrachte praktisch das gesamte Wochenende im „Franziska- ner“. Oft wurde die dritte Halbzeit erst am Montagmorgen beendet. Ursprungsort des Vereins waren in gleicher Weise die Kneipe und der Oranienplatz, eine kleine grüne Insel mitten im Zentrum von Kreuzberg 36, auf der Matze, Mutti und andere Stammgäste der Kneipe gegen den Ball traten und versuchten, den vielen Hundehaufen auszuweichen.

Wie gut der Verein im Stadtteil vernetzt ist, zeigt sich auch daran, dass es in Fußweite vom „Franziskaner“ viele Orte gibt, die eng mit dem Verein verbunden sind. Zuerst ist da natürlich in der gleichen Straße das Café von Ismail zu nennen, der selbst beim THC aktiv war. Das „Ismail“ war und ist Treffpunkt für die Auswärtsspiele, wenn das „Franzi“ noch geschlossen ist. Schräg gegenüber von der Kneipe ist der „Trinkteufel“, wo die ortlosen THCler während der Umbauphase im „Franziskaner“ 1998 Unterschlupf fanden. Einmal ums Eck befindet sich der alteingesessene erste Berliner St. Pauli-Fanladen, der bei Trikot- und T-Shirt-Druckaktionen stets günstige Konditionen anbot und für die Erste und die neue Ü32 selbst als Trikotsponsor in Erscheinung trat. Ein paar Häuser weiter liegt dann das „Sport 88“, wo Sportutensilien mit Franziskaner-Rabatt gekauft werden konnten und können. Nahezu gleich weit entfernt ist südlich der Skalitzer das Vereinsheim von Türkiyemspor, Türkiyem und den THC verbindet eine langjährige Fanfreundschaft . Etwas weiter entfernt und im benachbarten Kreuzberg 61 gelegen, aber in seiner Bedeutung als Veranstaltungsraum und Fixpunkt des Vereins unübertroffenen ist das ehemals besetzte Tommy Weisbecker- Haus, in dem auch die Feierlichkeiten aus Anlass des 25-jährigen Bestehens stattfanden.

Was in echten Dörfern, die zumeist von einer relativen Homogenität der Bevölkerungsstruktur geprägt sind, die Ablehnung alles Fremden ist, war und ist in Kreuzberg 36, in denen Fremdes und Fremdartiges zum Alltag gehört, die Ablehnung von Leuten, die nicht kommen, um zu bleiben, sondern um sich nur mal umzuschauen: die Touristen. Je größer ihre Zahl wird – in den Jahren 2009, 2010, 2011 sprießen die Hostels wie Krokusse im Frühling aus dem Boden – desto deutlicher werden sie zum offenen Feindbild in einem boomenden Kiez, der haufenweise Menschen aus allen Ländern anzieht. So werden die ungewollten Touristen in der Zeit beispielsweise auch zum Gegenstand von Podiumsdiskussionen und despektierlichen Plakataktionen der „Grünen“. Ebenso ist der THC für Immigranten jeder Art willkommen, bleibt aber reserviert gegenüber denjenigen, die keinen Sinn für das Besondere des Vereins entwickeln und sich nicht als ein Teil dieses Besonderen verstehen.

Multikulti

Mit einem durchaus vernehmbaren rassistischen Unterton wurde und wird Kreuzberg vor allem von Leuten außerhalb Berlins als „Klein-Istanbul“ bezeichnet. Auch wenn ein relativ großer Anteil der Kreuzberger Bevölkerung türkisch sprechen kann, wird Kreuzberg selbst keinesfalls von türkischen Einflüssen – welcher Art auch immer – dominiert. Kreuzberg 36 ist kein türkisches Chinatown, sondern ein Stadtteil, in dem unterschiedliche Kulturen – Hausbesetzer, Schauspieler, Schwaben, Ex-Türken, etc. – schon seit Jahrzehnten relativ unaufgeregt Tür an Tür leben. Die „Eitetei“-Stimmung beim MyFest oder das „Paady-Feeling“ beim „Karneval der Kulturen“ sind indes nicht charakteristischer Ausdruck dieser Unaufgeregtheit, sondern lediglich eine Facette von vielen. Diese Facette ist vor allem deshalb so öffentlichkeitswirksam, weil in ihr populäre 68er-Ideen eines friedvollen Miteinanders überlebt haben.

Tatsächlich werden in Kreuzberg 36 Konflikte ausgetragen, statt mit sanftem Lächeln und Gesinge über sie hinwegzugehen. Kultureller Separatismus und Ausgrenzung gehören ebenso zum Alltag wie der Respekt vor und das Interesse für kulturelle Unterschiede. Als Beispiel für die Ausgrenzung können die Schwierigkeiten herangezogen werden, nach dem Verlust einer Fixerstube in der Dresdener Straße Räumlichkeiten zu finden, in denen sich Drogenabhängige sicher und unbeobachtet spritzen können. 2011 wurden am Kottbusser Tor von Anwohner_innen und Gewerbetreibenden sogar Flugblätter verteilt, die offen für eine Ausgrenzung der Junkies plädierten. Während die Ausgrenzung sich nur schwer beim THC finden den lässt – Ansätze dazu gab es lediglich in Ressentiments gegenüber einigen Ostberliner Stadtteilen – schlägt sich der kulturelle Separatismus auch in der Mitgliederstruktur nieder. Denn in Kreuzberg 36 wie überhaupt in Berlin gibt es eine Reihe von Vereinen wie Hilalspor oder Karadenizspor, in denen fast alle Mitglieder türkisch sprechen konnten. Dadurch war und ist der Anteil türkisch Sprechender in einem Verein wie dem THC signifikant geringer als in der Gesamtbevölkerung. Charakteristisch für das Multikulti vom THC und von Kreuzberg 36 ist, dass derartige Auffälligkeiten nicht statisch sind oder aus political Correctness verschleiert werden, sondern dass sie einer Dynamik des „Durcheinanders“ ausgesetzt sind. So kamen bereits in den ersten Jahren des THC durch Freunde und Freunde von Freunden in kurzer Zeit relativ viele, die auch des Türkischen mächtig waren, und auch später geschah Ähnliches durch Eintrittswellen. Und so benannte sich 2011 bezeichnenderweise der in der Wiener Straße beheimatete Fußballverein Samsunspor Berlin in FC Kreuzberg um. In der Erklärung für die Umbenennung wird auf die Verbundenheit zum „schönsten Berliner Kiez“ verwiesen und auf den Umstand hingewiesen, dass schon vor der Umbenennung der Verein immer mehr Zuwachs „aus allen Bevölkerungsschichten und Nationalitäten“ verzeichnen konnte.

Mach-Mit-Mache-Anders

Es gehört wohl zur Berliner Eigenart, dass trotz aller Frotzeleien Aktivitäten jedweder Art erst einmal ein gewisser Respekt entgegengebracht wird, Das gilt auch und vor allem für Kreuzberg 36 und den THC. Wer aktiv ist, wer sich für was einsetzt, wer was auf die Beine stellt, den erwartet zuerst vielleicht ein lockerer Spruch, dann aber auch sofort Anerkennung für das Engagement. Institutionell gesetzte Grenzen oder eine „Das haben wir immer so gemacht“- Einstellung spielen eine weitaus geringere Rolle als woanders. Aus der schlichten Bäckerei der in der Türkei geborenen Eltern wird an vielen Ecken und Enden des Kiezes, wenn sie von dem in Berlin geborenen Nachwuchs übernommen wird, wird ein Café, das mit einem großzügigen Sitzbereich und zum Teil sogar Fernseher aus- gestattet wird – wodurch lustiger weise die Ausstattung in türkischen Kulturvereinen locker anzitiert und für alle geöffnet wird. Oder der Besitzer des St.Pauli- Fanladens versucht sich als Gaststättenbesitzer und übernimmt den über die Kiezgrenzen hinaus bekannten „Bierhimmel“ mit den tollen Torten und dem queeren Image. Beim THC entspricht dem die immer wieder verwendete Formel vom Mitmach – Verein. Nichts, was war, ist so, dass es auch so bleiben muss. Der konservative Geist vieler Vereine ist dem THC weitgehend fremd, vielmehr gibt es beim THC eine heilsame Aversion gegenüber Vereinsmeierei und Vereinsfunktionäre. Hoch gehalten wird das Prinzip der Eigenständigkeit der Mannschaften . Die Mannschaften sollen sich selbst als demokratische Einheiten verstehen, die über ihre eigenen Belange selbständig entscheiden können und sollen. So gibt es auch bei möglichen Interessenkonflikten zwischen Mannschaften und Verein auf der Mannschaftsseite statt der sonst üblichen Mischung aus Nörglern und Abnickern Aktive und Engagierte. Wie gut das funktioniert, hat sich beim Aufbau der Zweiten 2007 oder auch beim Umbruch in der Ersten 2010 gezeigt. Es passt wunderbar zu den gerade in der jüngeren Generation (Stichwort: Piratenpartei) verstärkt erhobenen Ansprüchen auf umfassende Mitbestimmung und demokratische Kontrolle, und es fördert die vereinsinterne Kommunikation und Stabilität.

Auch ich selbst konnte mich durch diese Offenheit sehr gut aktiv ins Vereinsleben einbringen. Statt Erbhöfe und Altlasten zu verwalten, ging es immer wieder darum, Ideen und Visionen zu entwickeln und gemeinsam mit allen zu verwirklichen. Es entsprach auch meinem politischen Selbstverständnis, dass bei allem Tun und Lassen Einzelner immer eine gute Portion Demut mit im Spiel war: Nichts ist richtig und gut, was nicht die meisten und vor allem die in erster Linie davon Betroffenen richtig und gut finden. Die 2007 neu gegründete Zweite mit dem wunderbaren Franziskaner TV ist das beste Beispiel dafür, wie produktiv sich dieses Selbstverständnis bei neuen Mitgliedern und neuen Mannschaften auswirkt.

Mia san Icke

Seit vielen Jahren werden T-Shirts mit den Stadtteilnamen „Kreuzberg 36“ oder „SO 36“ in großer Stückzahl verkauft . Die Identifikation mit dem Kiez ist in allen Bevölkerungsschichten, vor allem aber bei der Jugend, sehr hoch. Auch beim THC spielt die Identifikation mit einem Ort, der keine heile Welt darstellt, sondern durch soziale Widersprüche und kulturelle Unterschiede geprägt wird, eine große Rolle. Ihr entspricht die Einstellung „Uns kann keiner was“. Die Distanzierung vom Status quo, von traditionellen und institutionellen Normen macht den THC besonders bei jungen Leuten attraktiv. Dafür steht natürlich auch der Vereinsname.

Was offiziell als Tote-Hosen-Club firmiert ist in der Lesart vieler ein Rauschmittel, das schon längst hätte legalisiert werden sollen und das in Kreuzberg 36 einigermaßen unbehelligt und toleriert von der Ordnungsmacht in Kneipen und an öffentlichen Plätzen konsumiert werden kann. Die antibürgerliche Chuzpe, den Wirkstoff eines eigentlich verbotenen Rauschmittels im Vereinsnamen anzudeuten, spielt in der Außendarstellung wie in der Eigenwahrnehmung des THC eine wichtige Rolle und macht den THC auch überregional zu einer Ausnahmeerscheinung.

Malte